Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.02.2009
Da bist du Platte (Greifswald)

Plattenbausiedlungen aus der DDR-Zeit haben derzeit einen schweren Stand. Etliche Stadtplaner und Baupolitiker halten diese Siedlungsform entweder für ein Auslaufmodell oder für eine unerwünschte Konkurrenz zu den historischen Altstadtkernen. Diese Vorstellungen führen vielerorts zu einem recht rabiaten Umgang mit den ungeliebten Siedlungen und ihren Bewohnern. In vielen Städten ist der Abriss selbst von gut belegten Plattenbausiedlungen an der Tagesordnung. Oft werden bei dieser Gelegenheit sogar zentrale Standards der "Behutsamen Stadterneuerung" über Bord geworfen. Bürger werden von der Mitsprache am Stadtumbau ausgeschlossen, Mieter werden gegen ihren Willen aus ihren Wohnungen vertrieben, Bürgerproteste werden ignoriert.

Dass es auch anders geht, beweist der Stadtumbau im Ostseeviertel in Greifswald. Hier wurde ein Problemviertel durch einen behutsamen Stadtumbau in ein gefragtes Wohngebiet verwandelt. Schon auf den ersten Blick verbreitet das Ostseeviertel einen freundlichen Eindruck. Klare, kubische Baukörper leuchten in Weiß-, Blau- und Ockertönen, hervorkragende Balkone und Dachterrassen verleihen den Wohnblöcken Plastizität. Gepflegte Freiflächen und Mietergärten sorgen für eine gartenstädtische Atmosphäre. Am Anfang dieser Erfolgsgeschichte stand ein zwischen 1980 und 1988 erbautes Plattenbauviertel mit mehreren Problemen. Die 2200 Wohnungen befanden sich in sechsgeschossigen Wohnblöcken ohne Aufzug, in denen die oberen Etagen zunehmend leer standen. Viele Wohnungen besaßen nur kleine Küchen und Bäder ohne Fenster. Ein weiteres Problem waren verwinkelte Baustrukturen mit verschatteten Hofbereichen. Die Folgen waren nicht nur ein Wohnungsleerstand von 17,5 Prozent, sondern auch zunehmende Imageprobleme. Andererseits gab es aber auch viele Bürger, die gern im Ostseeviertel wohnten. Sie schätzten die ruhige Lage am Stadtpark, die guten Einkaufsmöglichkeiten und die medizinische Versorgung.

Die Stadt Greifswald und die beiden Wohnungseigentümer, die Wohnungsbau- und Verwaltungsgesellschaft Greifswald (WVG) und die Wohnungsbaugenossenschaft Greifswald (WGG), reagierten auf diese Probleme mit einem ungewöhnlichen Schritt. Sie begannen mit einer umfassenden Bürgerbeteiligung. Gemeinsam mit den Bürgern wurde beraten, welche Maßnahmen im Ostseeviertel umgesetzt werden sollten. Dieser Weg erwies sich als unerwartet produktiv. Denn die Bürger versteiften sich keineswegs auf eine Blockadehaltung, sondern entwickelten eigene Ideen für ihren Stadtteil. All diese Ideen mündeten in ein Stadtumbaukonzept, das von der Stadt, den Wohnungseigentümern und den Bürgern gleichermaßen getragen wurde.

Genau dieses Konzept wurde ab 2004 umgesetzt. Die beteiligten Architekturbüros Mikolajczyk, Kessler, Kirsten (Schwerin), Dittert und Reumschüssel (Hamburg), Lüling und Rau (Berlin) sowie KDB (Berlin) vollführten in den Folgejahren wahre Kunststücke. Bei einigen Wohnblöcken wurden die schwer vermietbaren oberen Geschosse einfach abgetragen. Andere Gebäude konnten in Terrassenhäuser verwandelt werden. Zu diesem Zweck wurden die oberen Geschosse nur zum Teil entfernt, aus den übrigen Segmenten entstanden anschließend Penthäuser mit großen Dachterrassen. Mit der gleichen Experimentierfreude wurden Balkone angebaut, Aufzüge installiert, Fensterformate verändert oder Wintergärten geschaffen. In einigen dicht bebauten Bereichen wurden auch ganze Häuser abgerissen. Großen Wert legten die Architekten auf das heute so aktuelle Thema Energiesparen. Dank neuer Wärmedämmfassaden konnten Energieverbräuche von weniger als 40 Kilowattstunden pro Quadratmeter pro Jahr erreicht werden. Damit wurden selbst Neubaustandards unterschritten.

Ebenso vielfältige Umbauten wurden in den Wohnungen vorgenommen. Dank der Flexibilität der Plattenbauweise konnten Wände fast beliebig versetzt oder ganz entfernt werden. Kleine Räume wurden einfach zusammengelegt, innenliegende Bäder und Küchen konnten durch großzügige Räume mit Fenster ersetzt werden. Ein Teil der Wohnungen erhielt eine barrierefreie Gestaltung, andere wurden speziell für studentische Wohngemeinschaften oder junge Familien hergerichtet. Die gesamten Baumaßnahmen konnten zu erstaunlich günstigen Kosten von durchschnittlich 600 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche verwirklicht werden. Komplettiert wurde der Umbau durch die Umgestaltung der Freiflächen. Ein Teil der Wohnungen erhielt Mietergärten, andere Flächen erfuhren eine parkartige Gestaltung.

Heute zeigt sich, dass die Entscheidung für einen behutsamen Stadtumbau im Ostseeviertel richtig war. Die umgebauten Wohnungen konnten bereits kurz nach ihrer Fertigstellung vermietet werden, etliche Interessenten mussten sogar auf Wartelisten vertröstet werden. Heute wohnt im Ostseeviertel eine bunte Mischung aus Familien, Studenten und Senioren. Nicht nur Greifswalder, sondern auch zahlreiche Bewohner aus dem Greifswalder Umland konnten von einem Umzug in das Ostseeviertel überzeugt werden. Nicht zuletzt deshalb konnte Greifswald in den letzten Jahren Einwohnerzuwächse verzeichnen. Ebenso erfreulich ist, dass dieser Erfolg keineswegs zu Lasten der historischen Altstadt geht, die ebenfalls gut belegt ist. Besser können die Abrissbefürworter nicht widerlegt werden.

Matthias Grünzig