Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Deutsches Architektenblatt 12/2007
Stadtumbau mit Hindernissen (Chemnitz)

Die Aufwertung der Altbauviertel ist ein vieldiskutiertes Thema. Politiker und Stadtplaner fordern einmütig eine Stärkung der Altbauquartiere. Die Praxis dagegen sieht oft viel komplizierter aus. Ein Beispiel ist die Entwicklung des Stadtteils Schlosschemnitz in Chemnitz, der in den letzten Jahren eine wechselhafte Stadtumbaugeschichte erlebt hat. Die Aufwertung von Schlosschemnitz begann 1992, als das Gründerzeitviertel zum Sanierungsgebiet erklärt wurde. Anschließend folgten rege Sanierungsarbeiten. Ein Aufschwung schien damals nur noch eine Frage der Zeit zu sein.

Doch spätestens im Jahr 2000 wurde offensichtlich, dass diese Sanierungen längst nicht alle Defizite des Stadtteils überwinden konnten. Zwar wurden in Teilen von Schlosschemnitz auch Erfolge erzielt. Die Wohnlagen rings um den Luisenplatz und den Schlossplatz, wo aufgelockerte Bebauungen, großzügige Grünflächen und ruhige Wohnumfelder vorhanden waren, konnten steigende Einwohnerzahlen und geringe Leerstände verzeichnen.

Andere Gebiete des Stadtteils entwickelten sich dagegen negativ. Der Hintergrund dieser Entwicklung war der Rückgang der Chemnitzer Bevölkerung von 310.000 Einwohnern im Jahr 1989 auf 255.000 Einwohner 2001. Dieser Aderlass führte zu steigenden Wohnungsleerständen, die vor allem in unattraktiven Lagen um sich griffen. Besonders problematisch entwickelten sich die Gebiete beiderseits der Hauptstraßen. Denn Schlosschemnitz wurde durch stark befahrene Straßen, wie die Leipziger Straße, die Hartmannstraße und die Bergstraße durchquert, die durch den Lärm von bis zu 40.000 Fahrzeugen am Tag und hohen Feinstaubwerten belastet wurden. Die Häuser, die an diesen Straßen lagen, verzeichneten oft Leerstandsquoten von 100 Prozent. Selbst sanierte Wohnungen fanden hier keine Mieter. Die leeren Gebäude waren nicht nur ein Problem für das Stadtbild, sondern stellten auch eine Gefahr für die Bevölkerung dar. Regelmäßig musste sich die Chemnitzer Feuerwehr mit Teileinstürzen, herabfallenden Dachziegeln und Fassadenteilen beschäftigen. Einige Häuser wurden von Brandstiftern heimgesucht. Diese Ruinen bedeuteten auch enorme Kosten für die Stadt, da diese ja zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit verpflichtet war. Weitere Leerstandshochburgen bildeten die Areale an den Wasserläufen Pleißbach und Chemnitz. Hier gab es dicht bebaute Gemengelagen aus Wohnhäusern und Gewerbebauten, die ebenfalls hohe Leerstände verzeichneten. Diese Problembereiche sorgten für eine überdurchschnittliche Leerstandsquote in Schlosschemnitz von 25 bis 28 Prozent im Jahr 2001. In der Gesamtstadt lag dieser Wert dagegen bei "nur" 23 Prozent.

Zu alledem war ab 1999 ein starker Rückgang der Sanierungstätigkeit zu verzeichnen. Ein Grund waren die hohen Kosten von über 1000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche für die Sanierung der unsanierten Altbauten. In Chemnitz, wo sanierte Altbauwohnungen schon zu Nettokaltmieten von 3,10 Euro angeboten werden, wären diese Kosten nicht finanzierbar gewesen. Dieses Manko konnte noch bis 1998 durch die Sonderabschreibungen für die neuen Bundesländer kompensiert werden. Doch nach ihrem Auslaufen Ende 1998 ging die Sanierungstätigkeit deutlich zurück. Es mussten also ganz neue Wege zur Revitalisierung von Schlosschemnitz gefunden werden.

Die Folge dieser Erkenntnis war allerdings kein Verlust, sondern ein Gewinn an Planungskultur. Die vielleicht wichtigste Veränderung war, dass nunmehr auch die Bürger an der Stadtplanung beteiligt wurden. Die Stadtverwaltung veranstaltete Gebietsrundgänge, Workshops und Foren, auf denen die Bürger über die Zukunft ihres Viertels mitentscheiden konnten. Zu einem wichtigen Träger der Bürgerbeteiligung entwickelte sich das 2000 eingerichtete Quartiersmanagement für Schlosschemnitz. Unter Einbeziehung von Streetworkern und gemeinnützigen Organisationen, wie der Heilsarmee, wurden die Wünsche der Bürger erfragt. Es begann ein Dialog zwischen Bürgern, der Stadtverwaltung, den Wohnungsunternehmen und dem Dresdner Stadtplanungsbüro Uta Schneider, das mit der Erarbeitung eines Stadtteilkonzepts für Schlosschemnitz beauftragt worden war.

Das Ergebnis dieses Dialogs war ein Stadtteilkonzept, das auf einer Doppelstrategie aufbaute. Einerseits war die Stärkung der attraktiven Kernbereiche um den Schlossplatz und den Luisenplatz vorgesehen. Andererseits sollten die Gebiete an den Hauptstraßen und an der Chemnitz sowie dem Pleißbach durch einen konzentrierten Abriss aufgewertet werden. Geplant wurde ein Netz aus "Grünen Tälern" und grünen Ringen, das Chemnitz in eine aufgelockerte und durchgrünte Stadtlandschaft verwandeln sollte. Zusätzlich wurde entlang der Leipziger Straße eine neue Straßenbahnlinie geplant, die zu einer Reduzierung des Autoverkehrs beitragen sollte.

Entsprechend dieser Strategie wurden mehrere Teilprojekte geplant. Ein Projekt war der Konkordiapark. Den Ausgangspunkt bildeten zwei Karrees an der Hartmannstraße, die mit verfallenen Wohn- und Gewerbebauten bebaut waren. Für dieses Gebiet entwarf das Lichtensteiner Planungsbüro planconzept eine Jugendfreizeitfläche "Konkordiapark". Die zweite Maßnahme betraf die Umgestaltung des Chemnitzufers. Der Uferstreifen war durch leer stehende Fabrikbauten, Wohnhäuser und Schuppen geprägt. Auf diesem Gelände plante das Magdeburger Landschaftsplanungsbüro Lohrer und Hochrein die Anlage eines Brückenparks. Anstelle von Ruinen sollten Wiesen, Baumgruppen und Spazierwege entstehen. Das dritte Teilprojekt umfasste die Umgestaltung der Leipziger Straße. Für diesen Bereich konzipierte das Dresdner Stadtplanungsbüro Uta Schneider einen "Grünen Stadteingang". Geplant war der Abriss der verfallenen Häuser und die Aufwertung der Abrissflächen durch Baumpflanzungen. Als viertes Vorhaben war eine Sanierung erhaltenswerter Gebäude in den Kernbereichen vorgesehen.

Die Umsetzung dieser Projekte entwickelte sich allerdings zu einem regelrechten Hindernislauf. Als die größte Hürde erwiesen sich die zersplitterten Eigentumsverhältnisse. Denn derzeit gehören rund 72 Prozent der Wohnhäuser in Schlosschemnitz Privateigentümern, die in der Regel nicht ortsansässig sind. Unter ihnen sind Selbständige aus den alten Bundesländern, die die Gebäude zwecks Nutzung von Steuervorteilen erworben haben, Gläubigerbanken oder zerstrittene Erbengemeinschaften, deren Mitglieder zum Teil in Tel Aviv, Ibiza oder New York wohnen. Ein noch größeres Chaos wurde durch die Sonderabschreibungen für die Neuen Bundesländer geschaffen. Diese Abschreibungen begünstigten Bauträger, die Häuser aufgekauft und anschließend wohnungsweise an auswärtige Kapitalanleger weiterverkauft haben. Die Folge: Viele Häuser gehören heute 10 oder 12 Eigentümern, die oft keinen Bezug zur Stadt haben und die die unterschiedlichsten Interessen verfolgen. Einige Eigentümer vermieten ihre Wohnungen, andere machen lieber Verlustverrechnungen geltend, und wiederum andere sind insolvent. Viele dieser Eigentümer können auch nach intensiven Gesprächen nicht für einen Stadtumbau gewonnen werden, andere sind überhaupt nicht auffindbar. Das Sanierungsrecht bietet zwar Instrumente für eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse. Die Stadt hätte die Möglichkeit, Häuser mithilfe von Städtebaufördermitteln zu erwerben. Doch diese Fördermittel müsste die Stadt zu einem Drittel kofinanzieren, und für derartige Ausgaben fehlt der Stadt das Geld. Die Folge ist eine Lähmung der Stadtentwicklungsbemühungen.

Verschärft werden diese Schwierigkeiten durch kontraproduktive Förderprogramme. Ein Problem ist die Gestaltung der Rückbauförderung. Zwar gewährt das Programm "Stadtumbau Ost" den Hauseigentümern Abrisspauschalen von 50 Euro pro Quadratmeter abgerissener Wohnfläche und eine Streichung von Altschulden aus der DDR-Zeit in Höhe von rund 75 Euro pro Quadratmeter abgerissener Wohnfläche. Das Problem besteht nun darin, dass in Schlosschemnitz vor allem Privateigentümer von den Rückbaukonzepten betroffen sind. Diese sind aber in der Regel überhaupt nicht mit DDR-Altschulden belastet und können deshalb keine Altschuldenentlastungen erhalten. Aus diesem Grund sind die Abrissanreize für Privatvermieter relativ gering. Zudem wird die Abrissförderung auch nur für bewohnbare Wohnungen gewährt. Viele Altbauwohnungen sind aber nicht mehr bewohnbar, folgerichtig können deren Eigentümer auch keine Abrissförderung in Anspruch nehmen. Ein zusätzliches Problem ist die Höhe der Abrisspauschale von 50 Euro. Dieser Betrag ist zwar ausreichend, wenn ganze Häuserzeilen abgerissen werden. Völlig unzureichend ist die Pauschale dagegen für den Abriss einzelner Häuser. Denn in diesem Fall muss Rücksicht auf Nachbargebäude genommen werden, welche die Abrisskosten erhöht. Ein Abriss ganzer Häuserzeilen lässt sich aber in Altbauvierteln nur schwer organisieren.

Ähnliche Schwierigkeiten bereiten die Fördermöglichkeiten für die Gebäudesanierung. Ein Großteil der Sanierungs- und Denkmalförderung wird derzeit in Form von Steuerabschreibungen für Privateigentümer gewährt. In Chemnitz allerdings sind viele Privateigentümer, nicht zuletzt aufgrund der niedrigen Mieten, zu Sanierungen überhaupt nicht in der Lage. Die Mehrzahl der Sanierungen wird deshalb von der kommunalen Grundstücks- und Gebäudewirtschaftsgesellschaft (GGG) und mehreren Wohnungsgenossenschaften durchgeführt. Doch diese Unternehmen können gerade nicht von den Steuerabschreibungen profitieren. Zwar wäre es auch möglich, Sanierungen dieser Unternehmen mit Städtebaufördermittel zu unterstützen. Doch in diesem Fall müsste die finanziell klamme Stadt wieder ein Drittel der Ausgaben beisteuern. Folgerichtig können die Wohnungsunternehmen nur sehr begrenzt in die Altbausanierung investieren.

Entsprechend schwierig gestaltete sich der konkrete Stadtumbau. Der Bau des Konkordiaparks erforderte einen umfangreichen Grundstückserwerb, da sich viele der benötigten Grundstücke im Privateigentum befanden. Einige Grundstückseigentümer waren erst nach langwierigen Verhandlungen zum Verkauf ihrer Immobilien bereit. Aus diesem Grund zog sich der Grundstückserwerb von 2000 bis 2006 hin. Anschließend erfolgte der Gebäudeabriss und die Neugestaltung des Areals. Es entstand ein 14.000 Quadratmeter großer Park mit Halfpipes, Streetballplätzen, Kletterfelsen, BMX-Bahnen, Skaterflächen, einem Pavillon und der Holzplastik "Liebesnest" des Chemnitzer Bildhauers Christoph Roßner. Gefördert wurden die Arbeiten durch die Programme "FR-Regio" und "Soziale Stadt". Ein erster Bauabschnitt konnte im April 2002 fertig gestellt werden, weitere Abschnitte folgten bis 2006. Heute zeigt sich, dass sich die Mühe gelohnt hat. Der Konkordiapark ist jetzt vollständig fertiggestellt und wird von den Jugendlichen sehr gut angenommen.

Mit Schwierigkeiten hatte auch das Brückenpark-Projekt zu kämpfen. Das benötigte Gelände gehörte zum Teil der Stadt, zum Teil aber auch Privateigentümern. Da die privaten Grundstücke nicht sofort erworben werden konnten, begann der Bau des Parks zunächst auf den städtischen Grundstücken an der Schlossstraße. Ab 2006 entstand hier eine Parklandschaft mit Baumgruppen, Wildwiesen, Spielwiesen, Rasenterrassen am Chemnitzufer und einem Holzdeck am Wasser. Gefördert wurden die Arbeiten durch EFRE-Mittel der Europäischen Union und das Programm "Soziale Stadt". Der erste Bauabschnitt konnte im Herbst 2006 fertiggestellt werden und wird seitdem rege frequentiert. Die Fertigstellung des gesamten Brückenparks dürfte dagegen noch länger dauern. Denn für die anderen Bauabschnitte müssen wieder Verhandlungen mit privaten Grundstückeigentümern geführt werden.

Besonders schwierig gestaltete sich die Umgestaltung der Leipziger Straße zum "Grünen Stadteingang". Denn auch für dieses Vorhaben wurden private Grundstücke benötigt. Nach langen Verhandlungen ist es der Stadtverwaltung gelungen, die GGG und einen Privateigentümer zum Abriss von vier Häusern an der Ostseite der Straße zu bewegen. Nach dem Abriss im Herbst 2006 wurden die Abrissflächen mit Bäumen und Sträuchern bepflanzt. Derzeit wird über die Häuser auf der Westseite der Straße verhandelt. Ein Großteil der Gebäude gehört wieder verschiedenen Eigentümern, die bis jetzt noch nicht zum Stadtumbau bereit sind. Die Stadtverwaltung hatte zwar versucht, die Blockade durch einen Häusertausch aufzubrechen. Demnach sollten Privateigentümer ihre Häuser an der Leipziger Straße gegen gleichwertige Gebäude der GGG an anderer Stelle tauschen. Doch dieses Vorhaben scheiterte an den Schwierigkeiten, gleichwertige Tauschobjekte zu finden. Wann eine Lösung zustande kommt, ist derzeit nicht absehbar. Der Verfall an der Leipziger Straße wird deshalb noch auf unabsehbare Zeit weitergehen.

Die Gebäudesanierung stieß ebenfalls auf Probleme. Zwar hat die GGG auch in Schlosschemnitz einige Häuser saniert. Doch umfangreichere Sanierungen scheiterten an den ungünstigen Förderbedingungen. Deshalb gibt es auch heute noch Straßenzüge, die fast vollständig unsaniert sind.

Für zusätzliche Querelen sorgte eine Kampagne privater Hauseigentümer gegen den Stadtumbau. Der Initiator dieser Kampagne war der aus Waiblingen in Baden-Württemberg stammende Bauunternehmer Hartmut Wahl, der 2006 den Verein "Stadtforum Chemnitz" gründete. Dieser Verein machte fortan durch schrille Angriffe auf die Stadtverwaltung und die GGG von sich reden. Das Stadtforum warf der Stadt den Abriss wertvoller Baudenkmäler vor, und in einem Offenen Brief an die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig verstieg sich Hartmut Wahl gar zu der Behauptung, in Chemnitz würde ein "Holocaust" stattfinden. All diese Vorwürfe erwiesen sich als völlig haltlos. Der Stadtumbau wurde durch diese Kampagne dennoch erschwert.

Aufgrund dieser Probleme ist die bisherige Bilanz des Stadtumbaus in Schlosschemnitz zwiespältig. Zwar haben sich unansehnliche Bereiche in reizvolle Parkanlagen verwandelt, die von der Bevölkerung rege genutzt werden. Zudem konnte ein leichter Rückgang des Wohnungsleerstandes von 25 bis 28 im Jahr 2001 auf derzeit 23 Prozent erreicht werden. Doch für die anderen Missstände zeichnen sich derzeit noch keine Lösungen ab. Gleichzeitig offenbart der Stadtumbau in Schlosschemnitz auch einen politischen Handlungsbedarf. Der Stadtumbau in Altbauquartieren kann nur dann gelingen, wenn die Förderprogramme und die Eigentümerstrukturen reformiert werden. Ansonsten droht die vielbeschworene Aufwertung der Altbauquartiere zu einer leeren Phrase zu verkommen.

Matthias Grünzig