Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Frankfurter Allgemeine Zeitung 05.04.2007
Krankgeschrumpft

Die Schrumpfung ist ein Problem, das in fast allen ostdeutschen Städten allgegenwärtig ist. Der massenhafte Abriß von Gebäuden ist nur ein Symptom dieser Misere. Die eigentliche Ursache ist eine wirtschaftliche Dauerkrise, die zu Abwanderung und Leerstand führt. Nochmals verschärft wird die Lage durch Bundes- und Landespolitiker, die nicht auf die wirtschaftliche Stärkung der bedrohten Städte, sondern auf den massenhaften Abriß von Wohnungen setzen. Vor allem im Rahmen des Programms, das sich euphemistisch "Stadtumbau Ost" nennt, sollen bis 2009 insgesamt 350.000 Wohnungen vernichtet werden.

Angesichts dieser Probleme war es verdienstvoll, daß der Bund Deutscher Architekten (BDA) am 7. März zu einer Konferenz mit dem Titel "Städte aufwerten" nach Weißenfels eingeladen hatte, die dem Thema Stadt und Wirtschaft gewidmet war. Schon der Veranstaltungsort war gut gewählt worden. Denn in Weißenfels kann besichtigt werden, was Stadtschrumpfung praktisch bedeutet. Die Stadt hat seit 19.909.000 ihrer einst 39.000 Einwohner verloren. Die Folge ist eine Innenstadt, in der verfallene barocke Bürgerhäuser, Abrißflächen und sanierte, aber trotzdem verwaiste Barockhäuser eine gespenstische Szenerie bilden. In diese Stadt hatte der BDA Politiker, Stadtplaner, Architekten, Denkmalpfleger und Wirtschaftsexperten zur Diskussion über Rezepte gegen die Schrumpfung eingeladen.

Die folgende Debatte war eher ambivalent. Den interessantesten Beitrag lieferte der Schwedter Bürgermeister Jürgen Polzehl, der eindrucksvoll den Aufschwung seiner Stadt schilderte. Die brandenburgische Stadt verfügt über einen großen Chemiebetrieb und zwei Papierfabriken, in jüngster Zeit konnten Biodiesel- und Biogasunternehmen angesiedelt werden. Gleichzeitig wurde die Stadt, die fast vollständig aus Plattenbauten besteht, einem Stadtumbau unterzogen. Der größte Teil der Gebäude wurde saniert, ein weiterer Teil konnte zu attraktiven Stadtvillen umgebaut werden. Mittlerweile boomt die Schwedter Wirtschaft dermaßen, daß Fachkräfte aus Polen angeworben werden müssen. Auch deshalb konnte die Leerstandsquote auf sensationelle 3,8 Prozent reduziert werden.

Sachsen-Anhalts Bauminister Karl-Heinz Daehre wiederum benannte die wachsenden Probleme bei dem Erhalt der Baudenkmäler. Er sprach über die zunehmende Zahl an Senioren, die oft barrierefreie Wohnungen mit Aufzug wünschten. Diese Qualitäten ließen sich in Baudenkmälern aber nur schwer verwirklichen. Andererseits wären viele Baudenkmäler wahre Energieschleudern. Eine energetische Sanierung dieser Gebäude durch das Anbringen von Wärmeverbundsystemen würde allerdings meist an denkmalrechtlichen Fragen scheitern. Daehre zog aus diesen Problemen seine eigene Schlußfolgerung: Er plädierte dafür, die Denkmallisten deutlich zu reduzieren. "Es macht keinen Sinn, wenn wir Altbauten sanieren, und dann kommen nur japanische Touristen, die die leeren Wohnungen fotografieren", lautete sein Fazit.

Kontroverse Debatten lösten diese Thesen allerdings nicht aus. Stattdessen wurde in vielen Beiträgen die Kunst des Schönredens praktiziert. Geras Bauamtsleiter Conrad Steinbrecht handelte den dramatischen Niedergang seiner Stadt unter dem Motto "Schrumpfung - na und?" ab und empfahl eine "Nachjustierung" der Stadtumbaukonzepte, womit er eine Erhöhung der Abrißzahlen meinte. Die sachsen-anhaltinische Landeskonservatorin Ulrike Wendland kündigte eine "Überarbeitung der Denkmalstandards", also eine Reduzierung des Denkmalschutzes an. Der Wittenberger Amtsleiter für Stadtentwicklung Jochen Kirchner wiederum präsentierte stolz seine Abrißzahlen. Doch die drängenden Fragen nach den Rezepten gegen die Schrumpfung oder auch nach der Sinnhaftigkeit des "Stadtumbau Ost" - Programms blieben bei diesen Vorträgen unbeantwortet.

Auch andere unangenehme Fragen wurden ausgeblendet. Unerwähnt blieb beispielsweise die brisante Studie des Büros "Analyse und Konzepte" zum Leipziger Wohnungsmarkt, die auch auf andere ostdeutsche Städte übertragbar ist. Nach dieser Studie wird der zukünftige Wohnungsmarkt vor allem durch einkommensschwache Rentner bestimmt werden. Demnach werden sich die Einkommen der Rentner um 30 Prozent verringern, der Anteil der einkommensschwachen Bürger wird schon in drei bis vier Jahren von 25 Prozent auf 40 bis 45 Prozent steigen. Die Folge ist ein wachsender Bedarf an billigen Wohnungen, der nach Ansicht der Experten nur durch preiswerte Plattenbauwohnungen gedeckt werden kann. In den teueren Altbaubeständen werden dagegen steigende Leerstände erwartet. Die ostdeutschen Städte brauchen also keine Abrisse, sondern Zuzüge. Doch diese Frage spielte in den Vorträgen der meisten Referenten keine Rolle.

Erst ganz am Schluß der Veranstaltung wurden Ansätze einer Diskussion sichtbar. Thomas Ungethüm, der Vorsitzende des Hausbesitzerverbandes "Haus und Grund" in Sachsen, berichtete von der dramatischen Lage in Görlitz. Dort ist die Innenstadt zwar fast vollständig saniert, doch weil auch in Görlitz die Schrumpfung grassiert, stehen fast 50 Prozent aller Innenstadtwohnungen leer. Die Stadtverwaltung hat deshalb im Februar versucht, die Bewohner der gut belegten Plattenbauwohnungen in die Innenstadt zu locken. Sie schickte den betroffenen Bürgern Postkarten mit Einladungen zur Altbaubesichtigung. Die Folge war allerdings eine dermaßen massive Protestwelle, daß sich die Stadtverwaltung umgehend zur Einstellung der Postkartenaktion gezwungen sah. Wie soll also die Görlitzer Innenstadt jemals wieder Bewohner finden? Der Magdeburger Architekt Peter Schube schlug die Anwerbung polnischer Mittelschichtenfamilien vor. Doch auch diese Familien brauchen Arbeit, und die ist in Görlitz eben rar.

Eines hat die Veranstaltung auf jeden Fall gezeigt: Die Debatte über Auswege aus der Schrumpfungsfalle steht noch ganz am Anfang. In Zukunft wird diese Frage noch intensiver diskutiert werden müssen. Anderenfalls werden von vielen ostdeutschen Städten nur noch klägliche Reste übrigbleiben.

Matthias Grünzig