Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Deutsches Architektenblatt 4/2006
Kampf mit den Windmühlen (Leipzig)

Das Thema "Wohnen in der Innenstadt" hat derzeit Hochkonjunktur. Magazine verkünden einen "Triumph der City", Stadtforscher melden eine "Renaissance der Innenstadt" und Stiftungen veranstalten Symposien über das "Wohnen in der Stadt". Doch in der Praxis zeigt sich, dass die Revitalisierung der Innenstädte keineswegs so problemlos verläuft. Ein Beispiel ist die lange und an Überraschungen reiche Geschichte der Revitalisierungsbemühungen im Leipziger Osten, die beispielhaft die Schwierigkeiten der Innenstadtentwicklung aufzeigt.

Am Anfang der Stadterneuerung stand ein Stadtteil, der alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Entwicklung mitzubringen schien. Der Leipziger Osten verfügte nicht nur über eine attraktive Innenstadtlage, sondern auch über einen teilweise sanierten Bestand an Gründerzeitgebäuden und über kompakte gründerzeitliche Baustrukturen, die durch ein dichtes Nebeneinander von Wohnungen, Läden, Gaststätten und Gewerberäume geprägt waren. Die Mischung aus Dichte, Vielfalt und Urbanität, die Stadtforscher gern als Schlüssel zu einer erfolgreichen Stadtentwicklung anpreisen - im Leipziger Osten war sie bereits Realität.

Daher war es nur folgerichtig, dass die Leipziger Stadterneuerer nach 1990 auf eine weitere Sanierung des Stadtteils nach den Rezepten der behutsamen Stadterneuerung setzten. Doch schon bald stießen die Stadterneuerer auf ein unerwartetes Problem: Denn die Bebauungsstruktur erschien zwar den Planern attraktiv, die Bewohner jedoch nahmen sie als defizitär wahr. Sie verwiesen auf die Nachteile enger Höfe, fehlender Grünflächen, mangelhafter Kinderspielplätze und dunkler Wohnungen. Beklagt wurde auch der Verkehrslärm, der mit der Verkehrserschließung des Leipziger Ostens zusammenhing. Denn diese erfolgte durch laute Hauptstraßen, die mitten durch die Quartiere hindurchführten und zu einer Verlärmung der Wohnungen beitrugen. Weiterhin beschwerten sich viele Bürger über die Überlagerungen von Wohn-, Handels- und Gewerbenutzungen, die häufig zu Nutzungskonflikten und weiteren Lärmproblemen führten. Und zu alledem wünschten sich viele Bewohner ein Einfamilienhaus mit Garten, das der Leipziger Osten nicht bieten konnte.

Die Folgen dieser Defizite waren bald nicht mehr zu übersehen: Obwohl fast 70 Prozent aller Altbauten saniert wurden, erlebte der Leipziger Osten zwischen 1990 und 2000 einen Verlust von 30 Prozent der einst 45.000 Einwohner, der zu einem Anstieg des Wohnungsleerstandes auf rund 40 Prozent führte. Von den noch verbliebenen Bewohnern erklärten zwischen 50 und 74 Prozent, dass sie ebenfalls einen Wegzug aus dem Stadtteil planten. Einen weiteren Denkanstoß brachte ein 2001 durchgeführtes Gutachterverfahren zur Zukunft des Leipziger Ostens. Denn zu diesem wurden nicht nur drei Architektur- und Planungsbüros (Dubach, Kohlbrenner - Berlin, Becker, Gisecke, Mohren, Richard - Berlin, L21 - Leipzig) und die kommunale Wohnungsgesellschaft LWB, sondern auch ein Bürgerteam aus Bewohnern des Leipziger Ostens eingeladen. Die Bürger entwickelten daraufhin ein besonders radikales Umgestaltungskonzept, das einen großflächigen Abriss leer stehender Wohngebäude einschloss.

Diese Fakten bewirkten in der Leipziger Stadtverwaltung ein Umdenken. 2002 wurde der "Konzeptionelle Stadtteilplan Leipziger Osten" verabschiedet, der einen völlig neuen Umgang mit dem Stadtteil vorschlug. Das Konzept, das vom Leipziger "Büro für urbane Projekte" und dem Berliner Büro Becker, Gisecke, Mohren, Richard entwickelt wurde, versuchte einen Spagat zwischen den Bürgerforderungen nach mehr Grün und dem Erhalt baugeschichtlich wertvoller Gebäude. Konkret wurden mehrere Elemente vorgeschlagen: Erstens wurde der Erhalt und die Sanierung wertvoller Gebäude und Stadtstrukturen festgeschrieben. Zweitens sollte mitten im Leipziger Osten ein attraktiver Grünzug, das "Rietzschkeband", entstehen, für dessen Realisierung der Abriss von bis zu einem Drittel der vorhandenen Bausubstanz ins Auge gefasst wurde. Die Pläne sahen eine Abfolge unterschiedlicher Landschaftsformen vor, die von einem "Lichten Hain" über einen "Dunklen Wald" bis hin zu einem Hirschgehege am Hauptbahnhof reichten. Drittens wurde der Bau einer Umgehungsstraße geplant, die den Leipziger Osten umfahren und die stark befahrene Eisenbahnstraße beruhigen sollte. Als viertes Element wurde auf Abrissflächen der Bau von Einfamilienhäusern mit Gärten vorgesehen.

In der Folgezeit konnte mithilfe von EFRE-Mitteln der Europäischen Union und Geldern aus den Programmen "Die soziale Stadt" und "Stadtumbau Ost" tatsächlich ein Teil des "Konzeptionellen Stadtteilplanes" umgesetzt werden. Mit großen Anstrengungen gelang die Sicherung und Sanierung vieler erhaltenswerter Gebäude. Auf dem Gelände des ehemaligen Eilenburger Bahnhofes wurde nach einem Entwurf der Berliner Landschaftsarchitektin Gabriele Kiefer der Lene-Voigt-Park angelegt, und die Realisierung des Rietzschkebandes konnte ebenfalls in Angriff genommen werden. Doch bei den weiteren Stadtumbaubemühungen stießen die Stadterneuerer auf ein zweites Problem: die zersplitterten Eigentumsverhältnisse. Denn der Leipziger Osten war wie fast alle Gründerzeitviertel in viele Parzellen aufgeteilt, von denen eine einem Insolvenzverwalter, die nächste einem Münchner Zahnarzt mit Steuersparabsichten und eine weitere einer zerstrittenen Erbengemeinschaft gehörte. Diese Eigentumsverhältnisse machten einen planmäßigen Stadtumbau fast unmöglich. Zwar eröffnete das Baurecht auch Möglichkeiten der Enteignung, etwa im Rahmen des Sanierungsrechts oder durch die Festlegung städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen. Allerdings wären diese Varianten mit hohen Entschädigungszahlungen verbunden gewesen, für die der Stadt Leipzig das Geld fehlte.

Diesen Zwängen begegnete die Stadt mit eher unkonventionellen Verfahren des Stadtumbaus. Beispielsweise erklärte sie die Flächen des künftigen Rietzschkebandes zu Desinvestitionsgebieten, in die keine öffentlichen Gelder mehr für die Gebäudesanierung investiert wurden und in die die Banken kaum noch Kredite vergaben. Gleichzeitig wurde den betroffenen Hauseigentümern die Möglichkeit zum Abschluss von "Gestattungsvereinbarungen" eingeräumt. Demnach befreite die Stadt für meist zehn Jahre den Hauseigentümer von allen laufenden Kosten, wie den Ausgaben für die Verkehrssicherung, der Grundsteuer und den Abrisskosten. Im Gegenzug gestattete der Hauseigentümer der Stadt die Anlage einer öffentlichen Grünfläche auf seinem Grundstück. Hinter diesem Vorgehen stand das Ziel, die leerstandsgeplagten Hausbesitzer in die finanzielle Enge zu treiben und auf diese Weise zum Abschluss einer Gestattungsvereinbarung zu drängen.

Doch in der Praxis führten auch diese Strategien nur zu Teilerfolgen. Zwar schlossen einige Hausbesitzer tatsächlich Gestattungsvereinbarungen ab, die wiederum zum Abriss leer stehender Häuser und zur Schaffung neuer Grünflächen führten. 2003 begann die Schaffung des "Dunklen Waldes" an der Wurzner Straße, und im vorigen Jahr konnte ebenfalls an der Wurzner Straße der Bau des "Lichten Hains" in Angriff genommen werden. Andere Hausbesitzer dagegen verweigerten sich dem Stadtumbau. Folgerichtig konnte das Rietzschkeband bisher nur rudimentär verwirklicht werden. Zugleich begannen etliche Hauseigentümer mit dem Abriss von Gebäuden, die nach dem "Konzeptionellen Stadtteilplan" eigentlich erhalten werden sollten. Ein Beispiel ist der 1875 erbaute Wohnpalast "Thiemes Hof" in der Querstraße, der 2003 abgerissen wurde. Wenig Impulse brachte auch die Neuordnung der Verkehrserschließung. Zwar wurde 2003 eine Umgehungsstraße um den Leipziger Osten eröffnet. Allerdings führte sie nur zu einer Teilentlastung der Eisenbahnstraße, weil der lokale Verkehr nach wie vor durch die Straße fließt.

Die zersplitterten Eigentumsverhältnisse bewirkten aber nicht nur eine Blockade des Stadtumbaus, sondern setzten auch ihre eigene Abwertungsdynamik in Gang. Denn viele Hauseigentümer vermieteten ihre leer stehenden Wohnungen und Gewerberäume nun an jeden Interessenten, ganz gleich, ob diese einer ausgewogenen Stadtteilentwicklung zuträglich waren. Die Folge war eine Konzentration unterprivilegierter Schichten, die häufig durch einen niedrigen Bildungsstand, Alkoholprobleme, Arbeitslosigkeit und niedrige Einkommen geprägt waren. Andererseits erlebte der Leipziger Osten einen massiven Zuzug von Migranten aus dem Irak, aus Vietnam und aus der Ukraine, deren Lebensverhältnisse oft durch prekäre Gewerbeaktivitäten, schlecht bezahlte Gelegenheitsjobs, mangelhafte Deutschkenntnisse und entsprechende Integrationsprobleme bestimmt waren. Zwischen 1998 und 2005 stieg der Ausländeranteil im Leipziger Osten von 5,5 Prozent auf den für ostdeutsche Verhältnisse extrem hohen Wert von 16 Prozent an. Und zu alledem verzeichnete der Stadtteil den Zuzug von Kurzzeitbewohnern, die den Leipziger Osten lediglich als temporären Aufenthaltsort betrachteten und daher nur wenig Interesse an seiner Entwicklung hatten. In einigen Quartieren stieg der Anteil der Bewohner, die nur zwei Jahre und kürzer im Stadtteil lebten, auf 47 Prozent an.

Auf diese Weise entstand eine extrem heterogene und instabile Einwohnerschaft, die kaum in der Lage war, sich gemeinschaftlich für die Stärkung des Stadtteils zu engagieren und eine gewisse soziale Kontrolle auszuüben. Verschärft wurden die Probleme schließlich durch Hauseigentümer, die sich überhaupt nicht mehr um ihre Häuser kümmerten. Diese entwickelten sich zu Orten ohne Kontrolle, die zu Müllplätzen und Treffpunkten für Drogenhändler, Alkoholiker und rechtsextreme Jugendszenen umfunktioniert wurden.

Das Resultat dieser Entwicklung ist eine Abwärtsspirale: Müllprobleme, die ständige Anwesenheit von Drogendealern, die Bildung von Parallelgesellschaften, aber auch Cafe´s mit folienverklebten Fenstern, in denen nur arabische Männer zu finden sind, und als ramschig empfundene Läden entfalten eine abschreckende Wirkung auf die Mehrheitsbevölkerung. Die Alteingesessenen, die sich eigentlich mit ihrem Stadtteil identifizieren und deshalb ein wichtiger Stabilitätsfaktor sind, reagieren auf diese Probleme nicht selten mit Überfremdungsängsten und Umzugsüberlegungen. Laut einer Umfrage bewerten 26 Prozent der Einwohner des Leipziger Ostens die Anwesenheit von Ausländern als negativ. Nicht zuletzt deshalb erzielte hier die NPD bei der letzten Landtagswahl mit 14,5 Prozent der Wählerstimmen das beste Ergebnis in Leipzig. In der Außenwahrnehmung wiederum gilt der Leipziger Osten oft als "Klein Istanbul" und als "No go area", in das man sich nur bewaffnet hineintrauen könnte. Laut Bürgerumfragen ist das Gebiet der unbeliebteste Stadtteil Leipzigs. Aus diesem Grund konnten auch für die geplanten Einfamilienhäuser noch keine Bauherren gefunden werden. Die Folge ist eine Sozialstruktur, die die Entwicklungschancen der Bewohner einschränkt und Benachteiligungen zementiert. Mittlerweile lassen sich bereits bei den Schulkindern des Leipziger Ostens deutliche Entwicklungsrückstände gegenüber den Kindern anderer Stadtteile nachweisen.

Die Stadt Leipzig versucht diese Situation mit einer Vielzahl von Betreuungsangeboten zu meistern. Treibende Kraft der Bemühungen ist das Stadtteilmanagement, das sich mit viel Engagement um eine Verbesserung der Lebensbedingungen kümmert. Es gibt das Frauen- und Kinderschutzhaus Leipzig, die Erziehungs- und Familienberatungsstelle, den Freizeittreff Rabet, den Freizeittreff Zirkel, die Kreativstube des Naomi e.V., das Mütterzentrum Leipzig, den Bürgertreff Volkmarsdorf, es gibt das Aktionsprogramm "Soziale Integration", das Programm "Kitas im Blick", das sowohl den Kinder als auch ihren Eltern zu helfen versucht, und es gibt das Projekt "SOS", das für Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit sorgen soll. Noch Zukunftsmusik ist das Projekt eines Handelszentrums "Internationales Quartier" (IQ), das in einem Karree an der Eisenbahnstraße geplant ist. In diesem Altbaukarree, das sich zum großen Teil im Besitz der kommunalen Wohnungsgesellschaft LWB befindet, sollen kleine Gewerbetreibende nicht nur günstige Gewerberäume, sondern auch professionelle Hilfe beim Marketing und einer ansprechenden Gestaltung ihrer Geschäfte erhalten. Ziel ist die Umwandlung der weitverbreiteten prekären Handelsaktivitäten in stabile Unternehmen, die gerade schlecht integrierten Einwanderern eine Integrationsperspektive eröffnen können.

Die Stadterneuerung im Leipziger Osten stellt sich heute als ein Wettlauf zwischen einer wachsenden Problemflut und den Stabilisierungsbemühungen der Stadt dar. Ob die Stadt diesen Wettlauf gewinnt, ist derzeit völlig ungewiss. Denn der Stadt fehlen sowohl die finanziellen Mittel als auch die rechtlichen Möglichkeiten für eine erfolgreiche Stadterneuerungspolitik. Weder gibt es realistische Möglichkeiten für die Enteignung von Hausbesitzern und eine ausgleichende Belegungspolitik, noch gibt es ausreichende Regelungen zur Steuerung der Zuwanderung und zur Bekämpfung der Drogenkriminalität. Deshalb gleicht die Arbeit der Stadterneuerer oft einem Kampf mit den Windmühlen. Doch eines zeigt die Entwicklung des Leipziger Ostens schon jetzt: dass die Revitalisierung der gründerzeitlichen Innenstadtquartiere völlig neue Konzepte erfordert. Gefragt sind hierbei keine spektakulären Architekturen und rein ästhetischen Stadtverschönerungskonzepte, sondern ganzheitliche Ansätze, die städtebauliche Ziele mit sozialen und ökonomischen Konzepten verbinden. Ansonsten wird die "Renaissance der Innenstadt" nur ein frommer Wunsch bleiben.

Matthias Grünzig