Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Frankfurter Allgemeine Zeitung 20.8.2009
Es gibt noch Genossenschaft (Weimar)

Wohnungsneubau - das ist heute oft eine trostlose Angelegenheit. Projektentwickler mit fantasievollen Namen bauen teure Wohnanlagen, die als "Residenzen", "Palais" oder "Townhouses" firmieren, aber in Wirklichkeit nur mangelhafte Wohnqualitäten bieten. Umso erfreulicher ist es, wenn dann doch Neubauten entstehen, die eine Alternative aufzeigen. Eine solches Positivbeispiel ist das neue Quartier "Stadtblick" in Weimar, das von der Gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaft Weimar errichtet wurde.

Die Siedlung befindet sich an der Heinrich-Jäde-Straße am südlichen Stadtrand, wo sich der Böckelsberg aus dem Ilmtal erhebt und Anhöhen herrliche Fernsichten bieten. Deshalb ist es kein Wunder, dass dem Besucher zuerst nicht die Siedlung, sondern die Landschaft auffällt. Der Blick fällt auf die Ausläufer des Thüringer Waldes, auf der anderen Seite liegt Weimar mit seinen Häusern und Gärten. Ebenso reizvoll ist die Parklandschaft, die sich auf der Anhöhe ausbreitet. Bäume und Rasenflächen verbinden sich zu grünen Idyllen. Geradezu paradiesisch ist die Ruhe, die nur durch Vogelstimmen unterbrochen wird.

Das Wohngebiet "Stadtblick" fügt sich fast bruchlos in diese Idylle ein. Es gibt drei- bis viergeschossigen Wohnhäuser, die sich behutsam in den Baumbestand einordnen. Holzfassaden sorgen für harmonische Übergänge zwischen den Gebäuden und der Natur. Mietergärten mit Blumenbeeten setzen Farbtupfer. Die Naturnähe ist auch in den Innenräumen erlebbar. Raumhohe Fenster, Balkone und Terrassen holen die Landschaft in die Wohnungen. Ein besonderer Clou sind die Essplätze, die wie Freisitze über die Fassade hinauskragen. Hier hat der Mieter auch beim Essen das Gefühl, mitten in der Natur zu sitzen. Ein Teil der Wohnungen wurde sogar mit Dachterrassen ausgestattet, die einen herrlichen Blick auf Weimar gewähren. Alle Wohnungen überzeugen durch großzügige Grundrisse, die für eine luftige Atmosphäre sorgen. Stadt und Natur - diese Elemente verbinden sich in der "Stadtblick" - Siedlung zu einer reizvollen Symbiose.

Diese wunderbare Wohnanlage ist eigentlich aus der Not geboren. Die Wohnungsgenossenschaft besitzt rund 4500 Wohnungen. Ein Großteil von ihnen verfügt über Standardgrundrisse, die teilweise auch recht beengt sind. Diese Wohnungen sind durchaus gefragt. Die wachsende Nachfrage nach großzügigen, individuell geschnittenen Wohnungen allerdings konnte die Genossenschaft lange Zeit nicht befriedigen. Manche Genossenschaftsmitglieder wanderten aus diesem Grund sogar zur Konkurrenz ab. Diese Lage war ein erheblicher Nachteil im Konkurrenzkampf mit anderen Vermietern.

Auf dieses Problem reagierte die Genossenschaft mit einem Neubauprojekt, das gleich in mehrerer Hinsicht Maßstäbe setzte. Schon die Wahl des Standortes erwies sich als Glücksgriff. Die Genossenschaft erwarb ein verwaistes Grundstück der Deutschen Telekom, das nicht nur landschaftlich reizvoll war, sondern auch direkt neben dem Wohngebiet Kirschbachtal mit seinen Schulen, Kindergärten und Einkaufsmöglichkeiten lag. Als das eigentliche Erfolgsrezept entpuppte sich aber die Bürgerbeteiligung bei der Planung des Quartiers. Zunächst wurden die Bürger ausführlich nach ihren Wünschen gefragt. Schnell zeichneten sich klare Präferenzen ab. Die Bürger wünschten sich vor allem viel Grün, Ruhe, praktische Grundrisse und Balkone mit schönen Aussichten.

Genau diese Wünsche wurden anschließend von der Wohnungsgenossenschaft in Zusammenarbeit mit dem Weimarer Architekturbüro Junk & Reich umgesetzt. Die Architekten fügten die Wohnhäuser mit viel Fingerspitzengefühl in den vorhandenen Baumbestand ein. Das ruhige Wohnumfeld konnte durch ein konsequentes Verkehrskonzept verwirklicht werden. Der Anliegerverkehr wurde komplett in eine Tiefgarage verbannt, der Durchgangsverkehr wurde aus dem Viertel von vornherein herausgehalten. Dank dieser Lösung konnte das gesamte Wohngebiet als autofreier Grünraum gestaltet werden. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Gestaltung der 71 Wohnungen zuteil. In Absprache mit den Bürgern wurde eine große Vielfalt an Grundrissen verwirklicht. Sämtliche Wohnungen erhielten Balkone oder Dachterrassen, ein Teil der Erdgeschosswohnungen wurde mit einem Mietergarten ausgestattet. Komplettiert wurde der Neubau durch ökologische Finessen, wie Solaranlagen auf den Hausdächern.

Die Nachfrage nach den "Stadtblick"-Wohnungen beweist, dass das neue Wohngebiet tatsächlich die Wünsche vieler Bürger getroffen hat. Schon vor seiner Fertigstellung waren fast alle Wohnungen vermietet. Zudem konnte die Genossenschaft dank des Neubaus neue Mitglieder gewinnen.

Matthias Grünzig