Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Bauwelt 44/2009
Die Bevölkerung wächst, die Stadt soll schrumpfen (Dresden)

Ist es sinnvoll, in einer wachsenden Stadt, in der Wohnraum Mangelware ist, massenhaft Wohnungen abzureißen? Über diese Frage wird gerade in Dresden ein heftiger Streit geführt.

Die Dresdner Abrissgeschichte begann 2002, als der Stadtrat den Abriss von 7000 Wohnungen beschloss. Zwischen 1990 und 2000 musste Dresden einen Bevölkerungsrückgang und einen Anstieg des Wohnungsleerstandes auf 14 Prozent verkraften, der nun durch die Abbrüche reduziert werden sollte. Zwischen 2002 und 2008 wurden dann tatsächlich rund 5000 Wohnungen beseitigt. Ab 2000 setzte allerdings eine Trendwende bei der Bevölkerungsentwicklung ein. Dresden verzeichnete einen Bevölkerungszuwachs von 487000 Einwohnern im Jahr 1999 auf derzeit rund 505000 Einwohner. Allein 2008 hat die Stadt 4700 Einwohner hinzugewonnen. Prognosen sagen eine Fortsetzung der Bevölkerungszunahme voraus, für 2021 wird mit einer Bevölkerungszahl von 528000 Einwohnern gerechnet. Entsprechend stark nachgefragt sind die Dresdner Wohnungen. Vor allem kleine und preiswerte Wohnungen sind mittlerweile Mangelware.

Die neue Entwicklung führte allerdings zu keiner Änderung der Abrisspolitik. Dieser Anachronismus hatte mit dem Programm "Stadtumbau Ost" zu tun, das Wohnungsabrisse mit üppigen Abrisszuschüssen und Altschuldenentlastungen fördert. Dank der Subventionen wird der Abriss für Hauseigentümer zu einem äußerst profitablen Geschäft. Ein Hauseigentümer, der abreißt, erhält eine Abrisspauschale von 50 bis 60 Euro pro Quadratmeter abgerissener Wohnfläche. Da die Abrisskosten bei vielen Gebäuden nur 30 Euro pro Quadratmeter abgerissener Wohnfläche betragen, kann der Hauseigentümer die überzähligen 20 bis 30 Euro der Abrisspauschale als Gewinn kassieren. Das ist aber noch nicht alles. Als Zugabe erhält er dann noch Altschuldenentlastungen von bis zu 75 Euro pro Quadratmeter abgerissener Wohnfläche. Dank dieser Subventionen kann der Abriss deutlich lukrativer als der Erhalt von Wohnungen sein.

Das Stadtumbau Ost - Programm ist aber noch mit weiteren Absurditäten verbunden. Beispielsweise wurden mit den Fördergeldern zwar nur wenige leerstehende, dafür aber viele gut belegte und gefragte Wohnungen abgerissen. Der Grund: Für die Gewährung von Abrissgeldern ist es egal, ob die Abrisswohnung tatsächlich überflüssig ist ober ob sie in Wirklichkeit dringend gebraucht wird. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, ob die Abrisswohnung schon seit Jahren leer steht oder ob sie erst kurz vor dem Abriss gegen den Willen der Mieter leer gezogen wurde. Geld gibt es in jedem Fall. Diese Programmgestaltung hatte drastische Folgen. Viele gut belegte und auch langfristig dringend benötigte Wohnungen wurden auf die Abrissliste gesetzt, Bewohner wurden gegen ihren Willen aus ihren Wohnungen herausgekündigt, in vielen Fällen mussten die Abrissmieter mit teureren oder schlechteren Ersatzwohnungen vorlieb nehmen. Die Grundsätze der behutsamen Stadterneuerung und der Bürgerbeteiligung wurden bei diesen Abrissen immer wieder missachtet. Diese Politik soll auch in Zukunft fortgesetzt werden. Bis 2011 will allein das größte Dresdner Wohnungsunternehmen WOBA nochmals rund 2500 Wohnungen abreißen.

Doch mittlerweile stößt diese Abrisspraxis auf Widerstand. Der Protest begann im April 2008, als die WOBA großflächige Abrisse von gut belegten Wohnungen im Stadtteil Tolkewitz ankündigte. Im Mai 2008 gründete sich die Bürgerinitiative "Mieteraktiv Tolkewitz", die sich mit Unterschriftensammlungen und der Mobilisierung von Lokalpolitikern zur Wehr setzte. Bald stellten sich erste Erfolge ein. Im Juli 2008 votierte der Stadtrat für eine Überprüfung der Abrisspläne, im Dezember 2008 folgte ein Beschluss, der die Reduzierung der WOBA-Abrissmenge um 319 Wohnungen vorsah. Gleichzeitig gingen die Bürger gerichtlich gegen die Abrisskündigungen vor. Im Januar 2009 erklärte das Amtsgericht Dresden die Kündigung von Mietern in Tolkewitz für rechtswidrig. Derzeit erscheint sogar ein vollständiger Stopp der Wohnungsabrisse denkbar. Im Oktober 2009 hat die SPD-Fraktion im Dresdner Stadtrat einen Antrag für einen Abrissstopp eingebracht. Die Fraktion der Linken hat bereits Unterstützung für einen Abrissstopp signalisiert, die anderen Fraktionen beraten noch.

Die WOBA reagierte auf diese Bemühungen allerdings alles andere als begeistert. Schließlich würden der WOBA im Falle eines Abrissstopps hohe Subventionen aus dem Stadtumbau Ost - Programm entgehen. Deshalb hat sie der Stadt schon mal vorsorglich mit einer Schadensersatzklage im Falle eines Abrissstopps gedroht.

Wie dieser Konflikt ausgeht, ist derzeit noch nicht absehbar. Möglicherweise werden die Dresdner Abrisspläne aber auch durch bundespolitische Entscheidungen gestoppt. Denn das Stadtumbau Ost - Programm in seiner derzeitigen Form soll Ende 2009 auslaufen. Eine Verlängerung des Programms bis 2016 wurde zwar im Juni dieses Jahres vom Bundestag beschlossen. Die Finanzierung der Fördermittel ist allerdings noch ungeklärt. Vielleicht sorgen am Ende die Finanzprobleme der Bundesregierung für den Erhalt der Dresdner Wohnungen.

Matthias Grünzig