Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.7.2010
Ende einer Achterbahn (Eisenhüttenstadt)

Planstädte aus der DDR-Zeit haben heute einen schweren Stand. Oft werden sie als fehlgeplante Totgeburten betrachtet, die unter den marktwirtschaftlichen Bedingungen keine Chance mehr hätten. Auch deshalb sind gerade in den Hochburgen des DDR-Städtebaus besonders viele Abrisse zu verzeichnen. Städte wie Hoyerswerda, Cottbus oder Frankfurt/Oder präsentieren sich heute in weiten Teilen als trostlose Abrisswüsten.

Umso erstaunlicher ist die Lage in Eisenhüttenstadt. Wer die ostbrandenburgische Stadt besucht, der erlebt ein fast schon idyllisches Stadtbild. Frisch sanierte Wohnhäuser beeindrucken mit reichem Fassadenschmuck, mit Arkadengängen und Ecktürmchen. An Giebeln sind Wandbilder oder Sgraffitiarbeiten zu finden, die von heroischen Werktätigen oder glücklichen Familien erzählen. An zentralen Plätzen erheben sich Kindergärten und Schulen, die eher an Tempelanlagen als an Bildungsbauten erinnern. Vervollkommnet wird die Idylle durch ausgedehnte Parkanlagen, die mit Blumenrabatten, Teichen und Plastiken geschmückt sind. Wer sich hier aufhält, der fühlt sich eher in einen noblen Kurort als in eine Industriestadt versetzt.

Im Zentrum dieser Idealstadt ist das Friedrich-Wolf-Theater zu finden, das kürzlich nach langer Sanierung wiedereröffnet wurde. Schon ein Gang durch die Innenräume macht deutlich, dass sich die Sanierung gelohnt hat. Die Eingangshalle stimmt mit glänzenden Travertinfußböden und Wandverkleidungen aus rotem Marmor auf das Kunsterlebnis ein. Von hier aus führen breite Treppen mit roten Teppichen und filigranen Geländern in das Rangfoyer, wo die Prachtentfaltung eine nochmalige Steigerung erfährt: Säulenreihen, Wandbilder und Mosaikarbeiten verbinden sich mit vergoldeten Stuckdekorationen und Kronleuchtern zu einem luxuriösen Ambiente. Der große Saal schließlich beeindruckt mit holzgetäfelten Wänden und einem vergoldeten Wandfries.

Diese Sanierung ist auch deshalb so bewundernswert, weil sie hart erkämpft werden musste. Denn in den letzten Jahren hatten die Stadt und ihr Theater eine regelrechte Achterbahnfahrt erlebt. Errichtet wurde Eisenhüttenstadt ab 1950 als "erste sozialistische Stadt" Deutschlands, in der die sozialistische Utopie beispielhaft verwirklicht werden sollte. Ganz in diesem Geist entwarf Chefarchitekt Kurt W. Leucht großzügige Wohnviertel, die allen Bevölkerungsschichten gleichermaßen gute Wohnungen boten. Die ersten Wohnkomplexe entstanden im dem Stil der "nationalen Bautradition", später folgten Punkthäuser, Zeilenbauten und Ladenpavillons im Stil der Nachkriegsmoderne.

Auch die Kultur sollte kein Privileg des Bildungsbürgertums mehr sein, sondern der ganzen Bevölkerung zugänglich gemacht werden. Dieser Vision folgte auch das Theater, das 1955 - als erstes Gebäude des Stadtzentrums - eingeweiht wurde. Hans Klein und Hermann Enders entwarfen einen neoklassizistischen Bau, dessen Architektur die eher wenig kulturbeflissenen Stahlarbeiter für das Theater begeistern sollte. Die Rechnung ging auf: Ein breites Programm von der Revue über das Schauspiel bis hin zur Oper lockte tatsächlich viele Besucher in das Theater.

Doch nach 1990 geriet dieses Erbe in schweres Fahrwasser. Wie andere ostdeutsche Städte auch, musste Eisenhüttenstadt den Teufelskreis aus Arbeitsplatzabbau, Abwanderung und Wohnungsleerstand verkraften. Manche Experten prophezeiten sogar das völlige Verschwinden der Stadt. Die Eisenhüttenstädter allerdings ließen sich von diesen Prognosen n

icht entmutigen. Das Stahlwerk konnte mit einer verkleinerten Belegschaft gerettet werden. Neue Investitionen, wie eine gerade fertig gestellte Papierfabrik, sorgten für eine Stärkung der Wirtschaftsstruktur. Zugleich wurde in Eisenhüttenstadt schon früh der Wert der DDR-Architektur erkannt. Ganze Quartiere wurden unter Denkmalschutz gestellt und einer Sanierung unterzogen.

Dieser Lokalpatriotismus ermöglichte schließlich auch die Theatersanierung, die besondere Herausforderungen bot. Einerseits sollte das Theater seine historische Ausstrahlung bewahren. Andererseits sollte es zu einem vielseitig nutzbaren Kultur- und Veranstaltungszentrum umgebaut und dadurch besser ausgelastet werden. Das Eisenhüttenstädter Büro Gäbges und Partner bewältigte diesen Spagat souverän. Während die Räume eine originalgetreue Sanierung erfuhren, wurden eine neue Bühnentechnik und eine variable Bestuhlung eingebaut. Das Ergebnis ist ein multifunktionaler Saal, der Theateraufführungen, Kongresse, Musikveranstaltungen und Feste ermöglicht.

Sicher kann eine Theatersanierung nicht alle Probleme Eisenhüttenstadts lösen. Noch immer gibt es auch hier leerstehende Wohnungen und Abrisse. Doch von einem Verschwinden der Stadt spricht heute keiner mehr.

Matthias Grünzig