Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Frankfurter Allgemeine Zeitung 3.1.2012
Auf nach Bautzen

Die Stärkung der Innenstädte wird von vielen Politikern propagiert. 2010 hat das Bundesbauministerium ein "Weißbuch Innenstadt" herausgegeben, das die Stärkung der Innenstadt fördern soll. In der Realität allerdings ist mit dieser Forderung oft eine Zerstörung historischer Bausubstanz verbunden. Ein Beispiel ist Bautzen, wo ein ganzes Stadtquartier für ein neues Einkaufscenter abgerissen werden soll.

Wer Bautzen besucht, der erlebt einen beeindruckenden baukulturellen Reichtum. In der Altstadt reihen sich reich dekorierte Kaufmannshäuser aus der Barockzeit aneinander. Im Anschluss breiten sich Gründerzeitviertel aus, die mit prächtigen Bürgerhäusern und opulenten Villen aufwarten. Allerdings hat auch Bautzen mit dem Teufelskreis aus Bevölkerungsrückgängen, Leerstand und Verfall zu kämpfen, von dem so viele ostdeutsche Städte betroffen sind. Zwar ist die Lage nicht so dramatisch wie in Görlitz oder Zittau, doch auch hier sind die Spuren der Schrumpfung unübersehbar.

Einen Ausweg aus der Misere erhoffen sich Bautzens Lokalpolitiker von einem neuen Einkaufscenter. Am Rande der Altstadt, zwischen dem Lauengraben, der Äußeren Lauenstraße und der Bauerngasse, soll bis 2014 das Einkaufscenter Lauencenter entstehen. Der Investor Säurich & Sassenscheidt GbR aus Iserlohn plant Verkaufsflächen von 9900 Quadratmetern. Als Mieter sind Filialisten wie H & M und Mediamarkt vorgesehen.

Allerdings hat das Projekt auch eine Kehrseite: Denn mit dem Neubau ist ein großflächiger Abriss historischer Bausubstanz verbunden. 14 Altbauten, darunter 5 Einzeldenkmäler, sollen für das Center abgerissen werden. Selbst so bedeutende Gebäude wie eine Posthalterei von 1759, ein klassizistisches Bürgerhaus von 1860 und Mietshäuser aus der Gründerzeit sollen den Abrissbaggern anheimfallen. Folgerichtig hat das sächsische Landesdenkmalamt seinen Widerstand gegen das Projekt angekündigt.

Das Centerprojekt wirft aber noch weitere Probleme auf. Denn Bautzen ist bereits jetzt gut mit Verkaufsflächen ausgestattet. Direkt neben dem geplanten Lauencenter befindet sich das Kornmarktcenter mit 10000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Weiterhin gibt es in der Altstadt zahlreiche Geschäfte, von denen schon jetzt etliche leer stehen. Das neue Center würde den bestehenden Geschäften Konkurrenz machen und viele von ihnen in den Ruin treiben. Diese Aussicht ist umso dramatischer, weil für Bautzen ein weiterer Rückgang der Einwohnerzahlen prognostiziert wird. Laut einem Gutachten soll die Kaufkraft in der Region Bautzen bis 2025 um 16 Prozent sinken. Das neue Center hätte demnach zur Folge, dass immer mehr Geschäfte um immer weniger Einwohner konkurrieren würden. Für viele Altstadthändler wäre diese Konkurrenz der sichere Ruin.

Zudem hätte diese Entwicklung katastrophale Konsequenzen für das Stadtbild. Denn wo Läden nicht vermietet werden können, dort fehlt auch das Geld für die Instandhaltung der Häuser. Der bauliche Verfall der Altbauten wäre vorprogrammiert. Daher haben viele Altstadthändler Protestaktionen gegen das Lauencenter gestartet. Ein Offener Brief an die Stadtverwaltung wurden von 140 Händlern unterschrieben. Weitere Unterstützung kommt von einer Bürgerinitiative, die mit Menschenketten gegen das Center protestiert hat.

Die Bautzner Stadträte ließen sich von diesen Argumenten allerdings nicht beeindrucken. Sie hoffen darauf, dass das neue Center viele Einkaufstouristen aus anderen Städten nach Bautzen locken wird. Folgerichtig hat der Stadtrat Ende September dieses Jahres einem städtebaulichen Vertrag für das Center zugestimmt, 2012 sollen die Bagger anrücken. Auch der Denkmalschutz dürfte kein Hindernis für das Projekt sein, denn dieser kann problemlos durch das sächsische Innenministerium aufgehoben werden.

Die anderen Städte reagieren auf die neue Konkurrenz auf ihre Weise - mit noch größeren Centerprojekten. In Zittau beispielsweise ist ein Center geplant, das noch größer und noch brutaler als das Bautzner Center werden soll. Dieses Monstrum soll nicht am Rand der Altstadt, sondern mitten in der Altstadt an der Reichenberger Straße errichtet werden. Geplant sind Verkaufsflächen von 12000 Quadratmetern. Für diesen Koloss sollen ganze Straßenzüge mit 13 denkmalgeschützten Gebäuden abgeräumt werden. Die Albertstraße würde gar überbaut und in einen Tunnel verwandelt werden. Die Zittauer Altstadt, die noch immer mit großartigen barocken Kaufmannshäusern aufwarten kann, wäre durch dieses Center unwiederbringlich beschädigt. Ein Bedarf für dieses neue Center gibt es auch hier nicht, denn Zittau ist schon jetzt überdurchschnittlich mit Verkaufsflächen ausgestattet, und die Prognosen sagen für Zittau einen noch dramatischeren Bevölkerungsrückgang als für Bautzen voraus. Dennoch haben die Zittauer Stadträte im September dem Center zugestimmt, denn auch sie hoffen auf Einkaufstouristen von außerhalb.

Proteste gegen das Center gibt es durchaus, allerdings haben die Zittauer Denkmalschützer mit wachsenden Akzeptanzproblemen zu kämpfen. Ihr Dilemma besteht darin, dass der Reichtum an Baudenkmälern Zittau bisher wenig gebracht hat. Kaum ein Unternehmen konnte nach 1990 zur Ansiedlung nach Zittau bewegt werden - und das trotz aller denkmalpflegerischer Bemühungen. Daher gibt es immer mehr Bürger, die Denkmalpflege für einen unnötigen Luxus halten.

Selbst in Görlitz gibt es mittlerweile Forderungen nach einem Center: Erst kürzlich hat sich die dortige Industrie- und Handelskammer für ein Einkaufscenter in der Innenstadt ausgesprochen. Die Folgen dieser ruinösen Center - Konkurrenz sind fatal: Alles das, was die Unverwechselbarkeit historischer Innenstädte ausmacht, die Vielfalt der Baustile, die Spuren der Geschichte, wird geopfert - für einen kommerziellen Einheitsbrei.

Matthias Grünzig